Türkei 1; Gegenwind und Gastfreundschaft

Nachdem wir fünf Passkontrollen und eine Fahrzeugregistrierung passiert hatten, begrüßte uns die Türkei mit heftigem Gegenwind, der einige Tage anhalten und uns neben entsprechend wenigen Tageskilometern gedämpfte Laune bescherte. Dem Sturm folgte der erste Regen seit dem Verlassen Deutschlands und davon nicht zu wenig. Wir müssen uns wohl vorerst an das herbstliche Grau gewöhnen. In einer lustigen Sturmnacht mussten wir mehrmals Heringe, die im aufgeweichten Boden den Halt verloren, neu stecken, in einer anderen Nacht mussten wir das Zelt aus dem See, welcher spontan um uns herum entstand, umziehen. Auf unser Zelt konnten wir uns wahrlich verlassen, es hat Wind und Wetter exzellent Stand gehalten.

Landschaftlich fanden wir wieder überwiegend weite Agrarflächen und breite Straßen vor bis sich kurz vor Istanbul weite Naherholungsgebiete erstreckten. Die Westtürkei ist schroff wie ein Gebirge ohne dabei wirklich an Höhe zu gewinnen. Auf und ab geht es dennoch reichlich und mitunter steil. Die Gastfreundschaft der Menschen hier ist scheinbar endlos. Wenn wir jeder Einladung zu einem Çay folgen würden, kämen wir nicht weit. Selbst wenn wir uns einfach so in ein Café setzen, wird uns der Tee bezahlt und die nächste Runde steht schon vor uns, bevor wir gehen können. In den Dörfern spricht kaum jemand unsere Sprachen, aber ein kurzes Gespräch funktioniert auch mit Händen, Füßen und Europakarte. In jedem noch so kleinem Dorf kann man sich mit frischem Brot, Oliven und gutem Käse eindecken, an unzähligen Imbissständen gibt es Börek und vieles mehr. So schnell konnten wir uns auf noch kein anderes Land kulinarisch einstellen. Die türkische Kultur erscheint uns entgegen jener der anderen Länder, die wir bislang bereist haben, sehr vertraut und insgesamt spürt man, dass auch die Türk_innen einen engen Bezug zu Deutschland haben, schließlich gibt es hier in fast jeder Familie jemanden, der in Deutschland lebt.

Bezüglich der Strecke haben wir lange gerätselt, auf welchem Weg wir lebendig und nicht völlig entnervt in die Metropole Istanbul gelangen könnten. Praktisch jeder direkte Weg ist eine Autobahn oder sehr stark befahrene Bundesstrasse. Zum Glück hat uns jemand auf eine Wegbeschreibung aufmerksam gemacht. So kamen wir über nette bewaldete Berge mit Schwarzmeerblick, durch Naherholungsgebiete und Badeorte entlang des Bospurus in die Stadt. Selbst bei Regen schillert das Wasser türkisblau und auf der anderen Seite des Bospurus liegen wolkenverhangen die Vororte auf der asiatischen Seite der Stadt. Ein wirklich traumhaftes Panorama. Wir machten uns klatschnass auf die Suche nach einem Hostel und freuten uns auf einige schöne Tage in Istanbul mit Dach über dem Kopf und ohne Tageskilometer.

Bulgarien; fasziniert über den Balkan

Zwei Tage am Stück nur Straße, flache riesige Felder und zu viele Hunde, die einem zähnefletschend nachrennen sind anstrengend. Wenn man dann noch schwüles Wetter hat und abends von Mücken gefressen wird, leidet die Stimmung. Wir mussten handeln, wollten die Berge sehen und hatten Lust auf ein neues Land. Also auf über die Donau nach Bulgarien.
Wir hatten kaum eine Ahnung was uns erwartet. Zuerst bestätigt sich mal wieder, dass ein Ufer nicht aussieht wie das andere. Wir finden eine hübsche Steilküste mit einem bescheidenen aber netten Ort vor. Wir besorgen uns Geld und Essen und machen uns auf ins Landesinnere. Damit lassen wir das erste mal alle ausgewiesenen Radwege hinter uns.
Alles ist bescheiden, wirkt aber nicht ärmlich. Die Autos und Häuser sind alt aber gepflegt. Die Menschen schauen uns teilweise an, als würden wir im Raumschiff durch ihren Ort schweben, kommen aber nicht mehr so aktiv auf uns zu wie in Rumänien.
Wenn wir nach dem Weg fragen, werden wir konsequent und wortreich unterstützt, auch wenn wir kein Wort verstehen. Ein etwa Sechzehnjähriger führt uns einmal quer durch die Stadt, damit wir auch wirklich die richtige Landstraße finden.
Die Landschaft zieht sich zwei Tage sanft hügelig und in herbstlicher Pracht bis Veliko Tărnovo. Wir bleiben einen halben Tag in der hübschen mittelalterlichen Stadt und quartieren uns in einem wirklich tollen Hostel ein. Hier lernen wir Andrew und Sheila kennen. Die beiden radeln von Manchester nach Istanbul und wir haben endlich mal wieder Radreisende zum austauschen von Erfahrungen.
Zurück auf der Straße machen wir uns auf Richtung Pass. Der niedrigste den wir finden konnten sollte uns sanft auf etwa 700 Höhenmetern über den Balkan bringen. Auf der vielbefahrenen Straße gehen uns jedoch die LKW schnell auf die Nerven und so verlassen wir die Straße in dem Wissen, dass wir auf kleinen Straßen zwei Tage mit rund 400 Höhenmeter mehr als geplant bergauf fahren werden. Eine der besten Entscheidungen dieser Reise. Der Weg ist bestens zu fahren, es gibt kaum Verkehr und die Aussicht ist grandios.
Auf halben Weg nach oben campen wir wild und werden morgens das erste mal erwischt. Der Bauer spricht kaum deutsch und amüsiert sich über uns als er die Schweine auf die Weide treibt, wünscht uns einen schönen Tag und verschwindet. Wir essen unser Frühstück auf und brechen auf zum Pass. Das Panorama ist zum verlieben, weite Täler mit kaum einen Zeichen von Zivilisation. Alles in allem ist der Anstieg auch halb so wild, Linda lässt sich dennoch nicht zu einem Abstecher zum Gipfel begeistern. So machen wir uns nach kurzem Halt auf zum spaßigen Teil der Bergetappe: ABFAHRT! Kurze Zeit später sitzen wir unten im Tal im Café und betreiben Tourplanung. Erstmal geht es weiter nach Istanbul.

Rumänien; überraschend anders.

An einem nebligen Morgen erreichen wir Rumänien und fühlen uns schlagartig in eine andere Welt versetzt. Mit derart starken Unterschieden zu den knapp 20 km entfernten serbischen Dörfern hatten wir nicht gerechnet. Die Region erscheint uns wesentlich ärmer, die kleinen Ortschaften, durch die uns der Weg führt sehr viel lebendiger. Häuser und Hütten sind auffallend farbenfroh angestrichen, an alle grenzen große Nutzgärten und Viehställe. Kühe, Ziegen und Gänse werden über die Straßen getrieben. Der Pferdekarren ist ein wichtiges Verkehrsmittel, wir sind damit auf den mäßige befahrenen Straßen nicht mehr die langsamsten Verkehrsteilnehmer. Die Radwegbeschilderung ist Wegmarkierungen in Form von Meilensteinen gewichen.
Wir werden überall sehr herzlich mit einem lauten  „Hola!“, „Ciao!“, „Hello!“ oder hupen begrüßt und häufig derart angeschaut, als seien wir die ersten Radreisenden, die viele Menschen hier zu Gesicht bekommen. Was sie wohl von uns denken? Zwei junge Menschen mit zuviel Zeit und genug Geld, die aus einem unverständlichen Grund mit einem Fahrrad durch ihr Dorf kommen? Aufgrund der Verständigungsschwierigkeiten kam es leider zu keiner intensiveren Unterhaltung. Dass vor uns bereits andere Radelnde eben diese Dörfer passierten, verdeutlicht das Verhalten der Kinder, die sich einen Spaß daraus machen, sich, wenn wir vorbei fahren, an den Straßenrand zu stellen und mit uns zum „high-five“ abzuklatschen.
Die flache Landschaft mit den weiten Ackerflächen könnte überall zu finden sein. Die Felder werden sowohl mit riesigen Landmaschinen als auch mit kleinen Pferdefuhrwerken oder per Hand bestellt. Durch die schwülwarme Luft ziehen Schwaden penetranten Rauchs, der von brennenden Stoppelfeldern, Laub- oder Müllhaufen am Wegesrand stammt. Auf den Dorfstraßen entlang der Donau patrouilliert auffällig viel Grenzpolizei.
Unser Besuch in Rumänien währte lediglich drei Tage, stellten jedoch schnell fest, dass das EU-Land für uns auf dieser Reise mit Abstand den größten Kontrast zu unserem gewohnten Leben darstellt.