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Türkei 4; warten in Trabzon

Trabzon steht wegen des iranischen Konsulats auf unserer Route. In vielen Reiseblogs wurde berichtet, die Visa seien hier binnen eines Tages zu bekommen. Nicht so für uns. Eine ganze Woche werden wir auf unsere Visa warten müssen. Sehr viel Zeit in Trabzon…. was lässt sich sagen über die 500.000-EW-Stadt? Sie betreibt den größten Schwarzmeerhafen der Türkei, ist Stützpunkt des deutschen Militärs, es gibt eine Menge Industrie, dementsprechend schlecht ist die Luftqualität. Gleichsam ist Trabzon Unistadt, hat ein hübsches Zentrum mit gefühlten fünf km Fußgängerzone und einem kleinen Basar. Trotz dieser Auswahl an Shoppingmöglichkeiten bekommt man dann doch nicht alles was das Radreiseherz begeht, zumindest keine Rücklichter, Schlafsackinlets oder einen einzigen
Geldatomaten, der Euros ausspuckt. Dennoch zieht die Stadt Reisende an wie kaum eine andere in der Gegend, alle auf ein Visum wartend. Dieser Umstand führt unter den Wartenden zu einigen amüsanten Situationen. Als wir am ersten Abend am Attatürk-Platz sitzen, werden wir von einem Passanten, zwei Backpacker im Schlepptau, angesprochen. Ob wir Reisende seien und auf Visa warteten? Kurze Zeit später sitzen wir zusammen mit vier französischen und drei deutschen Couchsurfern sowie einigen Freunden des Hosts beim Abendessen. So lernen wir Jule, Christian und Marcel kennen, die mit den Rädern auf dem Weg nach China ebenfalls gerade zur Visapause in Trabzon festhängen.
An den nächsten Tagen wird gemeinsam Karten gespielt und geradelt. Zum ersten mal seit Ewigkeiten sind wir ohne Gepäck unterwegs. 90 km Strecke mit über 1000 Höhenmetern sind plötzlich recht entspannt. Als Belohnung gibt es atemberaubende Aussichten und den Besuch der beeindruckenden Klosteranlage Sumela.
Zwei Tage später erhalten die drei Deutschen zusammen mit einem großen Trupp anderer Reisender ihre Visa. Abends wird zur Visa-Party am Wohnwagen einer französischen Familie geladen. Es gilt, vor der Einreise nach Iran 20 Flaschen Champagner zu vernichten, die die Familie (aus dem Ort Champagne stammend), mit im Gepäck hat. Wir treffen auf eine bunte Truppe von ca. 20 Reisenden und es wird ein sehr lustiger Abend auf dem kleinen bewachten Parkplatz in der Innenstadt. Neben Maya und Yoel, die mit dem Rad aus Frankreich unterwegs sind, treffen wir ihre Hosts Berk und Burğas, die im Laufe des abends auch die unseren werden sollten. Mit bis zu sieben Couchsurfern verbringen wir die verbleibenden Tage in ihrer grandiosen Studentenwohung mit Dachterrasse.
Eine Woche nach der Ankunft in Trabzon sind unsere Visa fertig. Das Warten hat sich gelohnt. Nichtsdestotrotz wird durch die lange Pause für uns der Aufstieg in die Berge per Rad zeitlich zu knapp und wir entscheiden uns schweren Herzens, erneut in den Bus zu steigen.

 

Türkei 3; oh du schönes Schwarzes Meer

Eine Radreise ist wie ein Kuchen, für beide gilt:
1. Je umfangreicher desto besser.
2. Warm ist der Genuss größer als kalt.
3. Nass ist unappetitlich.
4. Schmeckt selten auf Autobahnen.
5. Wenn man merkt, dass zeitlich nicht alles zu schaffen ist, kann man anfangen, die Rosinen raus zu picken.

Letzteres wurde bei uns aktuell. Wir waren in Istanbul so spät, dass es unrealistisch wurde, die ganze Strecke noch zu radeln. Daher nehmen wir den Bus aus Istanbul hinaus, um den Autobahnen auszuweichen und direkt ab Bartın das schwarze Meer genießen zu können. Unser Reiseführer lobt die Strecke in den höchsten Tönen und so ist die Vorfreude trotz Busfahrt groß. Von Bartın bis ans Meer sind es noch einige Kilometer und wir lassen uns von Ramazan über warmshowers hier beherbergen. Für uns ist die Stadt seither eine absolute Radlermetropole. Ramazan ist am gleichen Abend von einer Radreise zurückgekehrt. Schon als wir auf ihn warten werden wir von einem Radler angesprochen und mit Streckenhinweisen versorgt. Später treffen sich alle Radaktiven der Stadt noch bei unserem Gastgeber auf ein Glas Tee oder ein Bier. Die Truppe organisiert ein Radlerfestival jedes Jahr und wir bekommen Halstücher mit entsprechenden Logo sowie Türkeifähnchen und Reiseführer geschenkt. Gerne würden wir länger bei diesen tollen Leuten bleiben, aber nach einer Woche Pause in Istanbul ruft die Straße.

Wir fahren erstmal nach Amasra ans Meer und unsere späte Reisezeit zeigt große Vorteile. Die Hälfte der Turistenbuden sind schon geschlossen, wir treffen keinen einzigen anderen Reisenden im Ort. Als wir uns die erste brutale Steigung der Küstenstraße hochquählen, werden wir von einem Bauarbeiter angehalten und gefragt was wir JETZT hier machen. Vor zwei Monaten hätten wir noch viele deutsche Kennzeichen hier sehen können. Wir machen noch ein paar Witze und verabschieden uns lachend. Die Straße gehört praktisch uns. In engen Kurven windet sie sich steil entlang der Küste. Die Anstiege brennen in den Beinen, die Abfahrten sind der reinste Spaß. Auf der einspurigen Straße kleben die schweren Räder in den Kurven und die Aussicht ist kaum zu überbieten. An Stellen zum Zelt aufstellen fehlt es uns auch nicht, übernachten ohne Meerblick und Bergpanorama ist nur in Ausnahmefällen nötig.

Wir haben auch viele tolle Begegnungen in diesem Streckenabschnitt, wir treffen ein paar Radreisende, ein spanisches Duo aus Barcelona und Tyson aus Kanada. Ramazan hatte uns erzählt, dass er etwa alle zwei Wochen Radler, die zwischen Asien und Europa unterwegs sind, beherbergt. Das sind dann auch nur diejenigen, die die Route am Schwarzen Meer nehmen und in Bartın übernachten. Wir fühlen uns in dem Strom an Reisenden auf zwei Rädern gut aufgehoben. Dies jedoch nicht nur unter den Reisenden. Sehr häufig werden wir unterwegs – ob zufällig oder weil wir, warum auch immer, sofort als Deutsche identifiziert werden – von Passanten in den Orten auf deutsch angesprochen. Die meisten unserer Gesprächspartner sind Rentner, die in Deutschland gearbeitet und bereits mehr Zeit in eben diesem Land verbracht haben als wir, einige fast fünfzig Jahre. Viele sind auf Besuch für einige Wochen oder Monate in der Türkei und haben einen Großteil ihrer Familie in Osnabrück, Tittisee, Kassel, Karlsruhe, Aachen, Essen… die Liste ist lang. Nur wenige haben sich entschieden, gänzlich in die Türkei zurückzukehren. Wir sind beeindruckt, wie intensiv der Bezug zwischen diesen beiden Ländern ist, die über drei Tausend Kilometer entfernt liegen und einige doch nicht unwesentliche kulturelle Unterschiede aufweisen. Was sich durchaus in Deutschland stärker etablieren könnte, sind die herzlichen Einladungen zum Tee.

Die erste Rosine aus unserem Tourkuchen ist in Samsun endgültig gegessen und so begeben wir uns zum Busbahnhof. Auf der Suche nach dem richtigen Schalter sammelt uns der Busfahrer ein und zehn Minuten später sind unsere Räder und wir verladen Richtung Trabzon. Bei diesen Menschen und ihrer Hilfsbereitschaft sind Anzeigetafeln für Fahrpläne schlicht unnötig. Ganze sechs Stunden und dreihundert Kilometer später erreichen wir die Hafenstadt.

 

Türkei 2; Istanbul

Istanbul ist wirklich berauschend und etwas ganz Besonderes. Auf unserer Reise haben wir diverse Großstädte besichtigt, aber keine war damit vergleichbar was uns hier erwartete. Die Stadt ist lebendig, ohne laut und hektisch zu sein, groß und weitläufig und gleichzeitig bestens zu Fuß, per Tram oder Fähre zu erkunden. Tausendjährige Geschichte, Tradition, Moderne und Hipstertum, von der dunklen Lederwahrengasse über den größten Basar der Welt bis zur videoüberwachten Shoppingmall prallen hier scheinbar widerspruchslos Welten aufeinander. Über allem liegt eine angenehm entspannte und nicht aufgesetzte Atmosphäre trotz den Massen an Touristen und ERASMUS-Studierenden. Selbst die touristischen Anziehungspunkte wie die Hağia Sofia oder die blaue Moschee wirken nicht für den Besucheransturm herausgeputzt sondern stehen sich mit der größten Selbstverständlichkeit gegenüber.
In Istanbul mussten wir uns auch nicht ausschließlich auf unseren Reiseführer verlassen. Ein Freund stellte uns einen Kontakt zu Feride her, die uns die alternativen und politischen Ecken der Stadt zeigte. Über sie bekamen wir auch die Gelegenheit, anlässlich einer Veranstaltung gegen die Rodung eines Waldgebiets für eine Volxküche die Gemüseläden nach Restware abzuklappern und bei der Essensvorbereitung mit zu schnippeln. Als wir dann in unserem lieb gewonnenen Hostel (an dieser Stelle sei das Hostel Neverland wärmstens empfohlen, auch ein Tipp von Feride) auf zwei Deutsche trafen, mit denen wir uns Doppelkopf spielend drei Nächte um die Ohren schlugen, fühlten wir uns endgültig zu Hause.
Nach einer Woche Entspannung, Kultur, Kontakten und trockenen Socken verabschieden wir uns mit mindestens einem weinenden Auge von der wunderbaren Metropole am Bosporus und es geht weiter entlang der Schwarzrmeerküste.